Das Jenaer Start-up Smart DyeLivery GmbH entwickelt neue Therapiemöglichkeiten für bisher nur schwer behandelbare Erkrankungen. Es nutzt dazu eine Plattformtechnologie, die mit Hilfe von Nanopartikeln bestimmte Wirkstoffe gezielt an die Stelle des Körpers transportiert, wo sie benötigt werden. „Wir sind die Spediteure im Körper“, sagte Geschäftsführer Dr. Marc Lehmann im Interview aus dem Jahr 2022. Inzwischen ist das Unternehmen in die erste klinische Studie gestartet. Was das genau bedeutet, erklären Dr. Marc Lehmann und bm|t‑Investmentmanager Stefan Jahn im Interview.
Mit Ihrer Technologie können Erkrankungen therapiert werden, für die es bislang kaum Behandlungsoptionen gab. Über welches Krankheitsbild sprechen wir?
Dr. Marc Lehmann: Es geht in der ersten Anwendung um die septische Cholestase. Das ist eine schwere Leberschädigung, die im Verlauf einer Sepsis, also im allgemeinen Sprachgebrauch einer Blutvergiftung, entstehen kann. Das Krankheitsbild ist mit einer Sterblichkeit von über 90 Prozent belegt. Wir wollen eingreifen, um diese Dysfunktion des Organs mithilfe unseres Medikaments wieder aufzuheben und diesen Patienten das Leben retten.
Dazu ist auch eine klinische Prüfung notwendig. Wie läuft eine solche Phase-I-Studie, also die Erstanwendung am Menschen, ab?
Dr. Marc Lehmann: In einer Phase-I-Studie wird nach umfangreichen präklinischen Voruntersuchungen das Medikament an gesunden Probanden überprüft, um negative Effekte auszuschließen. In dieser Studie stehen die Sicherheit und Verträglichkeit im Vordergrund und sie ist auf etwa ein Dreivierteljahr angelegt. Im April wurden die ersten Probanden dosiert. Vor, während und nach dem Erhalt des Medikamentes werden die Probanden äußerst umfangreich untersucht, um am Ende ein vollständiges Bild über die Anwendung zu erhalten. Die Studie ist so aufgebaut, dass sie aus mehreren Teilen besteht: In einem Teil erhalten die Probanden eine Einzeldosis von dem Medikament. Davon bekommt die erste Gruppe eine niedrige Dosis, die zweite Gruppe eine höhere Dosis und die folgenden Gruppen jeweils wieder eine noch höhere Dosis, aber eben immer nur eine einzelne Dosis. Im zweiten Teil verabreicht man den Probanden eine Dosis pro Tag über mehrere Tage. So ist es später auch in der Praxis angedacht. Eine zweite Gruppe erhält auch in diesem Teil eine höhere Dosis wieder über mehrere Tage.
Zu Beginn startet man mit einer ersten Kohorte in der niedrigsten Dosierung. In allen Dosisstufen erhalten zwei Probanden dabei einen Placebo, sechs Probanden erhalten das Medikament. Im Anschluss an jede Dosisstufe bewertet ein sogenanntes „Safety Board“ anhand der Daten dieser Kohorte, ob man mit der nächst höheren Dosis weitermacht. Da alles positiv gelaufen ist, haben wir bereits mit den nächsten Dosierungen beginnen können. So geht das weiter bis zum – hoffentlich – positivem Abschluss der Studie.
Vor welchen Herausforderungen haben Sie zu Beginn der Studie gestanden?
Dr. Marc Lehmann: Um eine Phase-I-Studie durchzuführen benötigten wir eine Genehmigung durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Neben umfassenden präklinischen Vorarbeiten mussten wir auch nachweisen, dass wir das Produkt unter den vorgegebenen regulatorischen Voraussetzungen – der sogenannten Good Manufacturing Practice (GMP) – herstellen können. Die regulatorischen Anforderungen zur Genehmigung und Durchführung einer klinischen Studie sind sehr hoch. Das ist im pharmazeutischen Bereich kein Geheimnis und ich finde das auch gut, schließlich möchte jeder ein umfassend geprüftes Medikament haben. Für uns war es eher eine Herausforderung so eine Studie mit einem Team aus knapp 12 Angestellten vorzubereiten, wofür ein großes Pharma-Unternehmen wahrscheinlich über mehr als 200 Leute verfügt. Wir haben weit über 300 Seiten – zum Beispiel das Studienprotokoll, eine sogenannte Investigator´s Brochure und weitere Dokumente – beim BfArM eingereicht. Da haben wir inhaltlich allerhand geleistet, schließlich mussten wir die Dokumente nicht nur schreiben, sondern zuvor auch die dafür notwendigen Daten erheben.
Die entwicklungstechnischen und regulatorischen Hürden haben wir alle erfolgreich genommen und wir haben die Zulassung vom BfArM zur Durchführung der Studie erhalten; ein für das Unternehmen extrem wichtiger Meilenstein. Am Abend desselben Tages ereilte uns dann aber der Schock: Es gab einen Brand beim GMP-Dienstleister, der für uns die Prüfmuster unseres Medikamentes für die Klinische Phase I herstellen sollte.
Wie sind Sie damit umgegangen?
Dr. Marc Lehmann: Das war ein bitterer Tag für das Team, denn wir haben alle sehr hart auf diesen einen Moment hingearbeitet. An diesem Tag sind natürlich auch Tränen geflossen. Aber letztendlich haben wir das im gesamten Team super aufgefangen und wieder hingekriegt. Alle haben den Schock schnell überwunden und direkt wieder angepackt. Darauf bin ich ziemlich stolz.
Stefan Jahn: Eine gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit wird vor allem in solchen schwierigen Phasen deutlich und wichtig. Das hat das Team rund um Dr. Marc Lehmann unter Beweis gestellt. Es geht gegenüber den Gesellschaftern/Investoren in einem solchen Fall nicht darum, nur zu schildern, was passiert ist, sondern dass man einen Plan A, B und C in der Tasche hat. So konnte Herr Dr. Lehmann auch alle Gesellschafter/Investoren hinter sich versammeln, um geschlossen zu agieren und die aus dem Brand beim GMP-Dienstleister resultierende zeitliche Verzögerung letztendlich auch finanziell zu überbrücken.
Dr. Marc Lehmann: Wir haben den Hersteller gewechselt, was gleichzeitig aber auch bedeutet, dass wir den regulatorischen Prozess beim BfArM nochmal durchlaufen mussten. Wir sind zwar nicht bei 0 gestartet, aber mussten eben viele Dokumente nochmal neu einreichen. Am Ende hat alles gut geklappt und wir haben die Herstellung des Medikaments für die Klinische Phase I Anfang dieses Jahres abgeschlossen.
Wie geht es nach der Studie weiter?
Dr. Marc Lehmann: Hierfür haben wir verschiedene Überlegungen. Für den Fall eines positiven Ergebnisses – was wir erwarten – wollen wir uns ggfs. einen Partner suchen, der den Wirkstoff in einer zweiten klinischen Phase testet und auch den weiteren Zulassungsprozess in die Wege leitet. Eine zweite Überlegung ist aber auch, dass wir die Phase-II-Studie in Eigenregie übernehmen. Hier sind wir aber auch auf Partner angewiesen – zum Beispiel eine sogenannte Clinical Research Organisation und geeignete Kliniken mit den entsprechenden Patienten. In der Phase-II-Studie wird das Medikament erkrankten Patienten verabreicht, um die Wirksamkeit zu überprüfen.
Die bm|t ist seit der ersten Stunde an Bord. Wie läuft die Zusammenarbeit?
Dr. Marc Lehmann: Wir haben die ersten Gespräche im Jahr 2015 geführt, seitdem arbeiten wir zusammen. Aus Investee-Sicht war für mich immer der Zweiklang wichtig: Die bm|t benötigt immer einen Co-Investor für ein Investment und die privaten Investoren haben immer gerne eine bm|t an Bord, die viel Expertise mitbringt.
Stefan Jahn: Das ist sicherlich ein wichtiger Punkt, insbesondere für einzelne private Investoren wie Business Angel oder Single Family Offices. Wir bringen aber nicht nur finanzielle Mittel und Expertise mit, sondern auch ein großes Netzwerk. Im Fall von SmartDyeLivery haben beispielsweise auch andere Investee-Partner von uns im Rahmen der Präklinik, aber auch bei der Herstellung des Medikamentes für die Klinische Phase I unterstützt.
Wie konnte die Thüringer Förderlandschaft in den letzten Jahren unterstützen?
Dr. Marc Lehmann: Wir haben verschiedene Förderprogramme über die Thüringer Aufbaubank in Anspruch genommen. Das waren Projektförderungen, zum Beispiel einzelbetriebliche Technologieförderungen, aber auch Innovationsgutscheine, um uns die Patenterstellung fördern zu lassen. Wir haben über die FTI-Thüringen PERSONEN-Richtlinie außerdem eine Kollegin eingestellt, die anfangs den Marketing-Bereich übernommen hat. Wir konnten sie damals nur aufgrund der Förderung einstellen. Und sie ist immer noch da. Inzwischen ist sie für alle regulatorischen Themen verantwortlich, die mit der Phase-I-Studie in Zusammenhang stehen und somit ein ganz wichtiger Teil des Teams. Auch Projektförderungen, die über längere Zeit laufen, sind für uns ein wichtiger Part. Das stärkt unsere Plattform-Technologie und verlängert die Risikokapital-Mittel, die uns zur Verfügung stehen – was wiederum private Investoren anzieht.
Wie funktioniert die Akquise von Investorinnen und Investoren für eine neue Finanzierungsrunde?
Stefan Jahn: Dr. Lehmann hat zwei Optionen genannt, wie es nach der Phase-I-Studie weitergehen könnte. Wenn man die Phase-II-Studie eigenständig macht, braucht es eine neue Finanzierungsrunde. Wichtig ist frühzeitig mit der Akquise und Marktsondierung zu beginnen. Da werden wir unser Netzwerk zur Verfügung stellen, aber auch der Gesellschafterkreis öffnet das eigene Netzwerk.
Wie läuft so eine Finanzierungsrunde ab?
Dr. Marc Lehmann: Wir definieren zunächst ein klares Ziel, was wir mit unserer Entwicklung erreichen wollen. Den Weg bis zum Ziel unterteilen wir dann in sinnvolle Etappen mit klaren Meilensteinen. Dafür erstellen wir auch eine sehr detaillierte Finanzplanung, um aufzulisten, was wir über die nächsten zwei Jahre oder bis zur Erreichung eines bestimmten Meilensteins, z.B. an Personal oder Geräten, benötigen. Dieser Plan wird dann im Gesellschafterkreis vorgestellt und mit diesen abgestimmt.
Stefan Jahn: Wir bereiten dann ein sogenanntes Pitch Deck vor, was den Finanzbedarf aber auch das Gesamtziel und die nächsten Meilensteine beinhaltet. Das ist die Basis für die Ansprache neuer Investoren.
Dr. Marc Lehmann: So ein Prozess hängt natürlich auch immer mit den Menschen zusammen, mit denen man zu tun hat. Wir arbeiten seit 2020 mit einem festen Investorenkreis. Wir mussten die Idee und unser Ziel also nicht immer wieder neu erklären, sondern eher unsere nächsten Etappen und Meilensteine präsentieren. Im Falle der Aufnahme neuer Investoren ist der Prozess dann natürlich entsprechend aufwändig und auch langwieriger, man muss zunächst mit potentiellen Investoren in Kontakt kommen, sich persönlich kennenlernen, das Vorhaben detailliert und gut nachvollziehbar darstellen und auch beiderseitig ein Vertrauensverhältnis aufbauen. Das ist uns bisher sehr gut gelungen , denn im Kreis unserer Investoren herrscht ein super Verständnis und wir pflegen einen sehr fairen Umgang.
Sie sind seit 2015 im Unternehmen. Wenn Sie auf die letzten 10 Jahre zurückblicken, würden Sie alles genauso wieder machen?
Dr. Marc Lehmann: Absolut – aus verschiedenen Gründen. Wir haben ein starkes Team in der Firma, Gründer die uns jederzeit unterstützen und einen wirklich tollen Investorenkreis. Ich könnte mir dieses Gesamtteam kaum besser vorstellen. Das würde ich immer wieder so machen.
Wir bleiben dran! Vielen Dank für das Gespräch!
(Interview geführt von Tina Zimmermann von der Thüringer Aufbaubank)